Zeitzeugengespräch am Lise-Meitner-Gymnasium: Gleichermaßen bedrückend und beeindruckend

Am Dienstag, den 4. Juni, besuchte Signore Roberto Oligeri das Lise-Meitner-Gymnasium. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes berichtete den zehnten und elften Klassen vom Massaker in seinem norditalienischen Heimatdorf Fivizzano (Toskana).
Oligeri hat es sich zur Aufgabe gemacht, junge Menschen über die Geschehnisse des 19. August 1944 zu informieren. An diesem Tag nahm die SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ auf grausame Weise Rache dafür, dass in einem Scharmützel mit Partisanen 16 SS-Männer gefallen waren. Die Vergeltung sah eine Ermordung von Zivilisten vor – potenziert um den Faktor zehn. So wurden an diesem Augusttag 160 Dorfbewohnerinnen – darunter Alte, Frauen und Kinder – von der SS hingerichtet.
Signore Oligeri kam nach diesem Massaker zur Welt. Diese Information irritierte die Zuhörenden zunächst. Jedoch wusste der Nachgeborene umso mehr vom „Nichterzählen“ und vom Schweigen zu berichten: Sein Vater war Gastwirt in Fivizzano und musste unter dem Zwang vorgehaltener Waffen die SS-Offiziere bewirten, während diese die Exekutionen vorbereiten und per Unterschrift durchführen ließen. Jedoch erfuhr Oligeri erst durch mühsame Archiv-Recherche von den exakten Hintergründen der Gräueln dieses Tages und auf welch grausame Weise sein Vater selbst involviert worden war. „Es gab und gibt in der italienischen Gesellschaft ein großes Schweigen über die Geschehnisse in der Zeit des Faschismus“ berichtete Oligeri auf Schüler-Nachfrage. Nur so könne er es sich auch erklären, dass gegenwärtig eine Post-Faschistin zur italienischen Regierungschefin gewählt worden sei.
Signore Oligeri wurde begleitet von Herrn Landrat Bastian Rosenau sowie seinem Mitarbeiter und einem Übersetzer. Der Landrat machte die LMG-Zuhörerschaft darauf aufmerksam, dass Oligeri aus seinen Erfahrungen nicht Hass oder Rachegelüste habe wachsen lassen, sondern vielmehr den Wille zur Versöhnung und Verständigung. Auf die Frage einer Schülerin, ob Oligeri nicht Groll gegen die Deutschen hege, antwortete er dem erstauntem Plenum: „Es gibt keinen deutschen Hass oder deutsche Unmenschen. All das haben Menschen Menschen angetan – und das dürfen wir niemals in Vergessenheit geraten lassen, weil es sonst wieder passieren kann.“
Text und Fotos: Michael Kunzmann