Sie haben getanzt, gesungen, kurzweilige Videos gezeigt und ihre Lehrer bei Spielen herausgefordert: Mit einem bunten Unterhaltungsprogramm, mit wertschätzenden Reden, mit handgemachter Musik und einem reichhaltigen Buffet haben die Abiturienten des Königsbacher Lise-Meitner-Gymnasiums in der Remchinger Kulturhalle ihren Schulabschluss gefeiert. Alle insgesamt 94 Schüler, die dort bei der rund fünfstündigen Gala auf der Bühne stehen, haben das neunjährige Gymnasium absolviert, das in Königsbach als Schulversuch läuft. Nachdem dieser bis zum 2028 beginnenden Schuljahr verlängert wurde, ist das Königsbacher Gymnasium weiterhin das einzige im Enzkreis, das G9 anbietet. Im Frühsommer hat Direktor Hartmut Westje-Bachmann den entsprechenden Bescheid erhalten. Bei der Abigala attestiert er den Schülern, den höchsten Abschluss erreicht zu haben, den das deutsche Schulsystem bietet. In seiner Rede ruft er ihnen zu: „Wenn Ihr etwas anpackt und auf die Menschen um Euch herum zugeht, dann werdet Ihr bestimmt viel Schönes erleben.“
Worte, für die er von den Abiturienten viel Applaus erhält. Fragt man sie zum Thema G9, dann fallen die Antworten eindeutig aus. „Wir würden uns immer wieder so entscheiden“, sagt Tom, der bei der Abigala auch die Rede für die Abiturienten gehalten hat und dabei unter anderem an Klassenfahrten, Klausuren und emotionale Momente erinnert hat. Im Gespräch mit dieser Redaktion betont der 18-Jährige, dass G9 keineswegs bedeutet habe, dass man sich nicht anstrengen musste. Aber es habe ihm und seinen Mitschülern mehr Raum für Freizeitaktivitäten gelassen. „Dadurch hatten wir mehr von unserer Kindheit.“ Dass sie durch G9 ein Jahr länger bis zum Abitur gebraucht hat, stört auch Johanna nicht. Im Gegenteil: Sie empfindet es als Vorteil, in der Oberstufe ein Jahr älter gewesen zu sein. Dadurch könne man viele Entscheidungen selbst treffen, ohne immer die Erlaubnis der Eltern einholen zu müssen. Die 18-Jährige hat den Eindruck, dass mit dem höheren Alter auch eine größere Reife einhergeht, was zu einem besseren Klima im Unterricht und zu einer entspannteren Stimmung geführt habe.
Victoria (18) sieht einen weiteren Vorteil von G9 in der Möglichkeit, den Stoff in der Unter- und Mittelstufe mehr vertiefen zu können. Es sei viel mehr Zeit für praktische Übungen, aber auch für Austausch und Dialog gewesen. Von ihren Erfahrungen mit G9 im Unterricht können auch die Lehrer berichten. Etwa Michael Kunzmann, der bei seiner Arbeit im Fach Geschichte gerade in der Oberstufe wahrnimmt, dass er mit den Schülern anders arbeiten kann, weil sie ein Jahr älter und damit reifer sind. „Da entsteht ein ganz anderer Dialog“, sagt Kunzmann und berichtet, die Rückmeldung der Eltern gehe dahin, dass durch G9 mehr Freizeitaktivitäten wie Sport oder Musizieren möglich seien. Was von den Schülern als wichtiger Ausgleich zum Schulalltag wahrgenommen werde. Kunzmann sagt, gerade in der Unter- und Mittelstufe gebe es durch G9 kaum Nachmittagsunterricht. „Das ist Zeit, die wirklich bei den Vereinen ankommt“, erklärt Kunzmann. Wobei der Lehrer großen Wert auf die Feststellung legt, dass die Schüler am Ende ihrer G9-Laufbahn dasselbe Abitur machen wie bei G8. „Die Niveau- und Zielvorgaben sind exakt dieselben.“
Beim Übergang von der Schule in den Beruf hätten die jungen Menschen keinerlei Nachteile, ergänzt Michael Ruf, der Mathematik und Religion unterrichtet und zudem Beratungslehrer ist. Er hat den Eindruck, dass die Schüler aufgrund des höheren Alters am Ende ihrer schulischen Laufbahn bei G9 oft schon genauere Vorstellungen von der beruflichen Zukunft haben. Auch Ruf hat beobachtet, dass den Schülern mehr Zeit zur Verfügung steht, in der sie Hobbys nachgehen, ein Instrument lernen oder sich im Verein engagieren können. Dabei hätten sie Erfolgserlebnisse, die sich wiederum positiv auf die schulische Leistung auswirken. „Das ist etwas ganz Wichtiges für die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler“, sagt Ruf, der in seiner täglichen Arbeit allerdings auch festgestellt hat, dass es bei G9 manchmal etwas Kreativität braucht: Weil die Lehrmittel und Bildungspläne auf G8 ausgelegt sind, müssen die Fachschaften eigene Konzepte entwickeln. Das bestätigt auch Fabian Kreutel, der früher als Schüler selbst G8 erlebt hat – und jetzt als Lehrer G9 unterrichtet. Dabei fällt ihm positiv auf, dass in einigen Fächern mehr Zeit zur Vermittlung des Stoffs zur Verfügung steht, allerdings nicht in allen im selben Umfang. Zudem stellt der Lehrer bei seiner Arbeit fest, dass die Schüler aufgrund ihres höheren Alters gerade in Fächern mit einem hohen Abstraktionsgrad dem Unterricht leichter folgen können. – Nico Roller